Warum Patient Empowerment Patientensicherheit fördert. Jürgen Malzahn vom Bundesverband der AOK sprach am 23. März 2012 mit ENDOINFO.de über das Null-Fehler-Prinzip in der Medizin, über Patientensicherheit, das Endoprothesenregister Deutschland und über Register, die es geben sollte.

Jürgen Malzahn AOK-Bundesverband

Jürgen Malzahn AOK-Bundesverband

ENDOINFO.de: Viele Menschen wissen, welches Öl sich im Motor ihres Autos befindet, haben aber keine Ahnung, wie z.B. der Hersteller ihres Herzschrittmachers oder Kunstgelenks heißt. Wie kommt das?

Jürgen Malzahn, AOK Bundesverband: Beim Auto ist es nicht ungewöhnlich, wenn sich jemand für das interessiert, was z.B. in den Motor eingefüllt wird. Das liegt in diesem Fall nicht zuletzt an der breiten Presse, die zum Thema Auto gelesen wird. Es gibt Vergleichstests und einen harten Wettbewerb, der auf der Straße und auch ein wenig in der Straße ausgetragen wird, in der man lebt. Image ist hier das Stichwort. Auch das Thema Zuverlässigkeit wird beim Auto offen behandelt, wie man an Pannenstatistiken sehen kann.
Bei medizinischen Produkten ist das anders. Hier sind Ärzte und Einkäufer von Krankenhäusern die direkten Ansprechpartner der Hersteller. Es ist nicht vorgesehen, den – ja, man kann durchaus sagen: Endabnehmer, also den Patienten in die Wahl des Materials einzubeziehen. Die wenigsten Patienten wissen von dem harten Wettbewerb, in dem einige Hersteller um ihre Marktanteile in einem großen Markt kämpfen. Das ist bei den Patienten noch nicht wirklich angekommen. Der Arzt wird für die einzige Instanz gehalten, für den „Experten“, der genau weiß, was „das Richtige“ ist. Aber auch ein Arzt kann nur die Informationen weitergeben, zu denen er Zugang hat. Hier wird noch einiges an Aufklärungsarbeit auf uns zukommen. Spätestens seit den jüngsten Skandalen um Brustimplantate und Hüftprothesen ist klar: Für die unterschiedlichen Indikationen und ihre entsprechenden Therapieverfahren und Medizinprodukte werden unabhängige Instanzen benötigt, die für Transparenz sorgen.

ENDOINFO.de: Aus dem Englischen kommt der Begriff Patient Empowerment: eine Bewegung, die aktuell großen Zuspruch findet. Ins Deutsche kann man Patient Empowerment mit Ermächtigung zur Mitsprache, auch mit Einbindung der Patienten in Entscheidungen übersetzen. Was meinen Sie, welche Veränderungen im Gesundheitssystem nötig sind, damit Patienten sich auch als Nicht-Mediziner ernst genommen fühlen und etwas zu sagen bekommen?

Jürgen Malzahn, AOK Bundesverband: Wir sind mit Patient Empowerment ja längst nicht mehr am Anfang. Es hat bereits beachtliche Verbesserungen gegeben durch die Informationen der Krankenkassen und die Aufklärung von Patienten. Die AOK setzt sich intensiv für die Information der Versicherten ein. Das können Sie z.B. an QSR, dem AOK-Gesundheitsnavigator, dem Arzt-Navi, unserer Beteiligung am Deutschen Endoprothesenregister und der Patientenbewertung von Krankenhäusern sehen.
Die transparente Darstellung der Behandlungsqualität und die Übersetzung in eine laiengerechte Sprache führen immer mehr zu mündigen Patienten, die wissen, was sie wollen – und was sie nicht wollen. Aber es gibt sicherlich noch weitere Ideen – dafür bräuchten wir jedoch die Verantwortlichen im Bildungswesen. Wenn man beispielsweise in unseren Schulen bis zur 9. Klasse ein Pflichtfach wie „Gesundheitswissenschaft“ einführen würde, dann könnten die Menschen bereits von Kindesbeinen an lernen, welche Zusammenhänge zwischen Ernährung, Übergewicht und z.B. Hüftgelenksarthrose bestehen. Gesunde würden über ihr Verhalten aufgeklärt, bevor sie möglicherweise durch vermeidbares Fehlverhalten zu Patienten werden.

ENDOINFO.de: Angenommen, es gäbe bereits den informierten, medizinisch mündigen Patienten. In welche Richtung würde sich aus Ihrer Sicht das Gesundheitswesen inzwischen entwickelt haben? Hätten wir eine höhere Gesamtqualität in der Versorgung? Mehr Wettbewerb? Eine Marktbereinigung bei Medizinprodukten? Schärfere gesetzlich festgelegte Zulassungs- und Kontrollwege?

Jürgen Malzahn, AOK Bundesverband: Mündige Patienten würden Ärzte stärker in die Pflicht nehmen, damit diese ihr Vorgehen begründen. Es würden nach der Diagnose Dialoge beginnen, bevor die Behandlung beginnt. Heute ist es oft noch umgekehrt. Der Patient wird leider erst dann gehört, wenn es Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Behandlung gibt. Das Patientenrechtegesetz ist wichtig, doch greift es immer noch zu kurz, und das vor allem in den Punkten Partizipation, Information und Transparenz. Bei diesen Themen, aber auch bei der Qualität und der Patientensicherheit gibt es nach wie vor viele Entwicklungsmöglichkeiten. Der AOK-Bundesverband hat bereits 2006 Eckpunkte zur Stärkung der Patientenrechte formuliert. In der Präambel hierzu heißt es: „Nur aufgeklärte Versicherte und Patienten, die um ihre Rechte und Pflichten wissen, können selbstverantwortlich gemeinsam mit ihrem Arzt wichtige Entscheidungen für ihre Gesundheit treffen.“ Die AOK plädiert nicht nur für Transparenz, sie fördert die weitere Unterstützung der Patienten. Wie immer im Leben gibt es aber auch bei aller Mündigkeit von Patienten gewisse Einschränkungen.
Wettbewerb und Marktbereinigung bei Medizinprodukten sind zweifellos Themen unserer Zeit. Doch man kann das Kollektivvertragsrecht, den Kontrahierungszwang und die Europäische Richtlinie für Medizinprodukte nicht allein durch mündige Patienten ändern oder gar abschaffen. Hier braucht es zusätzlich politische Lösungen. Viele Fehler konnten und können immer noch passieren, weil in den übergeordneten politischen Systemen keine Mechanismen vorgesehen sind.

ENDOINFO.de: Welche Auswirkungen hätte es Ihrer Meinung nach auf Ärzte und Kliniken, wenn Patienten nicht nur über OP-Risiken aufgeklärt würden, sondern bereits in der Vorbereitung auf eine Heilbehandlung oder Operation auch die Einladung zur Mitsprache hinsichtlich der Versorgung erhielten – wenn also aus Behandelten auch Handelnde würden?

Jürgen Malzahn, AOK Bundesverband: Wenn ein Patient an der Entscheidung für ein bestimmtes Behandlungsverfahren beteiligt wird, kann es ihm leichter fallen, sich an die ärztliche Empfehlung zu halten. Was wir heute als Compliance gegenüber dem Arzt bezeichnen, würde sich somit auf das gesamte Verfahren ausbreiten. Das leuchtet auch ein, denn Sie können als Patient eine Behandlung am besten dann unterstützen, wenn Sie wissen, worauf es ankommt. Im Verstehen liegt der Schlüssel für das Gelingen. Beim Arzt wie beim Patienten.

ENDOINFO.de: Was würde sich für Patienten ändern, wenn diese aus einer gefühlten Top-Down-Kommunikation in einen Austausch auf gleicher Augenhöhe wechseln könnten? Der Mediziner als Spezialist für sein Fach, der Patient als
Hauptverantwortlicher für sich selbst, sein Wohlergehen, seine Therapiewahl?

Jürgen Malzahn, AOK Bundesverband: In vielen Fällen würden sich Patienten wahrscheinlich durch das Teilhaben am Wissen stärker an das Vorgehen der gemeinsam festgelegten Therapie halten. Dies kann für die Genesung nur förderlich sein, weil der Patient nachvollzieht, wofür eine – hin und wieder auch als unangenehm empfundene – Behandlung nötig ist. Am Ende sind das Arzt-Patienten-Verhältnis und das Vertrauen zwischen den Beteiligten entscheidend für die Genesung. Zum Vertrauen zählt sicher ein Austausch auf gleicher Augenhöhe.

ENDOINFO.de: Welche Veränderungen gäbe es für Krankenkassen, wenn diese bei den Versicherten für die Mitwirkung beim Schaffen von Transparenz werben würden?

Jürgen Malzahn, AOK Bundesverband: Von unserer Seite aus würden sich keine wesentlichen Veränderungen ergeben, denn die AOK steht ohnehin grundsätzlich für transparente Information des Versicherten. Alle Projekte, die dem Nachweis der Versorgungsqualität dienen, dokumentieren unser Bestreben nach Transparenz. Unter ihnen die PEQ-Versichertenbefragung, der Arzt-Navigator und unsere Vorschläge zur Reform der Medizinprodukte-Gesetzgebung. Wie dieses Thema andere Kostenträger und Kostenträger im einzelnen handhaben, kann ich nicht sagen.

ENDOINFO.de: Aktuelles Beispiel Endoprothesenregister Deutschland. Welches Wissen würden Sie bei endoprothetisch versorgten Versicherten voraussetzen, damit diese von sich aus ein Krankenhaus wählen, das freiwillig am Endoprothesenregister teilnimmt?

Jürgen Malzahn, AOK Bundesverband: Das Endoprothesenregister Deutschland war lange überfällig. Doch nur wenige kennen bis jetzt die zahlreichen Vorteile, die es im Hinblick auf die Patientensicherheit bietet. Daher ist auch hier Aufklärungsarbeit wichtig. Das Endoprothesenregister Deutschland bindet die Patienten in die Informationsströme zur Qualitätssicherung ein, sobald diese sich für die freiwillige Teilnahme mit ihren pseudonymisierten Angaben entscheiden. Serienschäden an Implantaten lassen sich mit dem Endoprothesenregister Deutschland innerhalb kürzerer Zeit erkennen. Wenn es Probleme mit einem Implantat gibt, können alle Patienten, die am Register teilnehmen, zuverlässig gewarnt werden. Unnötige Risiken werden vermindert bzw. irgendwann auch vermieden. Die Selbsthilfeseiten von Betroffenen im Internet zu den Hüftendoprothesen zeigen deutlich, wie sehr es auf die Teilnahme von Patienten ankommt, damit mehr Patientensicherheit möglich wird.

ENDOINFO.de: Kostenträger im Gesundheitswesen – dieser Begriff beschreibt nur einen Teil eines Prozesses, in dem es um das Wohlergehen von Menschen geht. Kosten lassen sich addieren, verteilen und in Beiträgen darstellen. Für die Versicherten bleiben sie bisher meistens abstrakt. Angenommen, man würde die Krankenkassen umbenennen in Versorger im Gesundheitswesen – was wären aus Ihrer Sicht die typischen Hauptnutzen, die Versicherte erwarten? Oder anders gefragt: Welchen Nutzen könnten die Ersatzkassen bieten und zeigen, der über die Regulierung von Heilbehandlungen hinausgeht?

Jürgen Malzahn, AOK Bundesverband: Mit seinen Begriffsfindungen ist der Mensch leider nicht immer geschickt. Das sehen Sie ja z.B. an der sukzessiven Umbenennung von Personalabteilungen in „Human Ressources“ oder „Human Capital“. Faktisch sind wir – auch – ein Kostenträger. Aber auf derselben Stufe steht bei der AOK das Thema Versorgung. Seit eh und je gestaltet die AOK in vielen Bereichen die Versorgung aktiv mit. Wir sind daran beteiligt, wenn Kollektivverträge ausgehandelt werden, (Desease Management Programme, Verträge zur integrierten Versorgung, aber auch als Verhandlungsführer bei zahllosen Kollektivvertragsverhandlungen). Auch im Nachgang von Behandlungen, wenn es um den Schadensersatz bei Behandlungsfehlern oder die Regressierung von Medizinprodukten geht, bietet die AOK Unterstützung. Der Nachweis der Behandlungsqualität (AOK-Krankenhausnavigator), der Patientenschutz und die Patienteninformation sind wichtige Themen bei der AOK. Wir verstehen uns auch als Gestalter, denn wir investieren auch in die Förderung des Einsatzes und in Kreativität für mehr Prävention. Hierzu haben wir im Jahr 2011 den AOK-Leonardo Award ins Leben gerufen.

ENDOINFO.de: Wenn Sie sich ein Gesundheitswesen vorstellen, in dem alle Handelnden (wie beim Flugzeugbau) verpflichtet wären und auch öffentlich daran gemessen würden, mit Null-Fehler-Toleranz zu arbeiten – von den Entwicklern von Medizinprodukten über die Prüfinstitute bis zu den Operateuren, auf wen kämen aus Ihrer Sicht zuerst welche Veränderungen zu?

Jürgen Malzahn, AOK Bundesverband: Alle Welt redet von Fortschritt und technischer Machbarkeit. Damit Sie mich richtig verstehen, Fortschritt ist wichtig. Aber die Medizinproduktehersteller müssen unabhängig von der technischen Machbarkeit endlich angemessene, unabhängige klinische Studien zulassen, die neben dem zusätzlichen Nutzen auch die Unbedenklichkeit des Produktes sicherstellen. Damit wären auch regelmäßige, unangemeldete Kontrollen der Prüfinstitute verbunden: zum Nachweis der Einhaltung von Richtlinien und der Richtigkeit von Angaben. Spätestens nach dem PIP-Brustimplantat-Skandal darf in diesem Zusammenhang nichts mehr so sein, wie es einmal war. Ein weiterer Effekt, der mit der Idee von der Null-Fehler-Toleranz verbunden wäre: Operateure hätten einen Nachweis für die medizinische Evidenz und Sicherheit eines Produktes. Man sollte die Ansprüche so hoch wie möglich ansetzen, damit genug umgesetzt werden kann. Denn lebende Systeme wie von Menschen gemachte Organisationen können Sie kaum im Simulator testen. Sie verhalten sich einfach nicht so exakt berechenbar wie Flugzeuge.

ENDOINFO.de:: Systeme ist das nächste Stichwort. In großen Systemen scheitert vieles an mangelnder Information bzw. an der Annahme, es sei längst bekannt, was jedoch gerade nicht bekannt ist. Wie würde sich unser Gesundheitssystem aus Ihrer Sicht verändern, wenn alle Beteiligten über die Erwartungen und den Bedarf aller Beteiligten informiert wären, wenn ein Transfer für Transparenz verpflichtend, zumindest aber zur Selbstverpflichtung würde?

Jürgen Malzahn, AOK Bundesverband: Die Transparenz ist dort, wo eine Gefährdung der Gesundheit besteht, dringend nötig und im Idealfall auch gesetzlich verankert. Doch auch hier gibt es Schwachstellen. Für Krankenhäuser gibt es eine Auskunftspflicht. Patienten haben somit Wege, wie sie ihre Rechte durchsetzen können, z.B. bei Schmerzensgeld- oder Schadensersatzklagen. Die bisher entwickelten Leitlinien und der Einsatz von Studien und evidenzbasierter Medizin haben bereits einen großen Fortschritt in diese Richtung gebracht. Natürlich haben freiwillige Selbstverpflichtungen in wettbewerblichen Systemen oft große Effekte. Anders sieht es in Systemen aus, in denen Kontrahierungszwang besteht. Dort sind die Effekte oft weniger ausgeprägt.

ENDOINFO.de: Krankheit und Krise: An die Krankenkasse denken viele Menschen erst, wenn sie bereits erkrankt sind, oft sogar erst kurz vor einer Operation. Und meist sind es erst Krisen wie der Skandal um die PIP-Implantate, in denen die Menschen für einige Zeit hellhörig werden. Wie könnte man aus Ihrer Sicht eine langfristige Sensibilität und somit Bereitschaft dafür entwickeln, sich umfassend über das zu informieren, was z.B. implantiert wird?

Jürgen Malzahn, AOK Bundesverband: Es gibt nur den einen Weg: Register einführen und über die Ergebnisse öffentlich berichten.
Und natürlich die Weiterführung und Ausweitung der evidenzbasierten Medizin. So können wir eine umfassende, fundierte wissenschaftliche Basis schaffen, mit der patientengerecht aufbereitete Information und somit auch die Verbreitung des Wissens über Vor- und Nachteile möglich werden. Es braucht etablierte Standards zur Risikoaufklärung. Das Einholen von Zweitmeinungen soll zur Selbstverständlichkeit werden, zumindest die Nutzung von Informationsquellen, in denen anerkannte Zweitmeinungen abrufbar sind.

ENDOINFO.de: Bei den Durom-Hüftprothesen gab es nicht nur ein massenhaftes Prothesenversagen, sondern auch ein Systemversagen. Informationssysteme waren nicht vorhanden bzw. wurden nicht genutzt. Wie kann so etwas künftig verhindert werden?

Jürgen Malzahn, AOK Bundesverband: Sicherheit ist nur dann gegeben, wenn Krankenhäuser ihrer Auskunftspflicht nach § 294a SGB V gegenüber den Krankenkassen nachkommen. Die Krankenkassen sind die einzigen, die den Patienten nach einem Krankenhausaufenthalt über Jahre hinaus begleiten und unterstützen können, da Kassen nicht an Sektorengrenzen gebunden sind. Im Idealfall werden sich alle am Endoprothesenregister Deutschland beteiligen. Es wird und soll in jedem Fall zu einem Zugzwang kommen, da sich natürlich niemand gerne vorwerfen lassen wird, er wäre mit seiner Klinik an Transparenz nicht interessiert.

Es braucht klinische Studien, die die Unbedenklichkeit des Produktes nachweisen. Und wir verlangen die Sicherstellung einheitlicher Kennzeichnungen. Herstellerindividuelle Angaben – bis auf den eigenen Namen für den Vertrieb – bringen keinen weiter. Sinnvoll wäre auch ein patientenverständliches Infoblatt, das über Risiken aufklärt und übers Internet verfügbar ist. Warnhinweise der Hersteller sollten bei Problemen an alle Beteiligten ergehen und nicht nur an das BfArM.

ENDOINFO.de: Angenommen, es ließe sich sofort realisieren – für welche drei Implikationen würden Sie sich jetzt ein Register wie das Endoprothesenregister Deutschland wünschen?

Jürgen Malzahn, AOK Bundesverband: Für Herzschrittmacher und für Chochlea- Implantate. Für Herzklappen existiert bereits ein Register, aber hier ließe sich noch einiges tun in Sachen öffentliche Berichterstattung.

ENDOINFO.de: Können in der Medizin Ethik und Effizienz auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden? Wenn ja, was braucht es aus Ihrer Sicht dafür?

Jürgen Malzahn, AOK Bundesverband: Wir brauchen ein Umdenken. Dann kann das möglich werden. Solange in der Krankenhausvergütung die Rechnung gilt „Möglichst viele Leistungen = hohe Vergütung“, wird wohl auch noch der Irrglaube bestehen bleiben, die Aufstockung von Budgets würde automatisch zu einer besseren Versorgung der Patienten führen. Auf der Grundlage dieser Geisteshaltung ist eine Verbindung von Ethik und Effizienz schwierig, denn Sie hätten bei der Wahl des besseren – und im Einzelfall womöglich deutlich günstigeren – Verfahrens sofort den Vorwurf im Raum stehen, man wolle auf Kosten der Gesundheit sparen. Wir haben es hier mit einem alten Phänomen zu tun. „Viel ist gleich viel“, hier liegt der Irrtum. Viel im Sinne von teuer heißt lange nicht immer viel Nutzen. Es gibt manche Standard-Versorgungsverfahren, die seit Jahrzehnten etabliert, bewährt und kostengünstig sind. Wenn Sie von einem neuen Verfahren hören, das weitaus teurer ist, und wenn Sie dann auf das bewährte Verfahren hinweisen, stehen Sie schnell da als einer, der seinen Patienten keinen Fortschritt gönnt. Für uns stehen die Qualität der Behandlung und das Wohl der Patienten an erster Stelle. Jedes neue Verfahren, zu dem noch keine evidenzbasierten Daten vorliegen, birgt natürlicherweise die Gefahr von Komplikationen in sich.

Abgesehen von jeder Effizienz sollte man zunächst allein Ethik und auch Moral ins Auge fassen. Mit dem Blick darauf kann man nur zu Bewährtem raten – und das Neue so lange auf Herz und Nieren testen, bis man es sich mit gutem Gewissen selbst einsetzen ließe.

Jürgen Malzahn leitet die Abteilung Stationäre Versorgung, Rehabilitation
Geschäftsführungseinheit Versorgung, AOK-Bundesverband

Das Interview führte Johannes Faupel, Redaktion ENDOINFO.de

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