Frau Univ. Prof. Dr. Andrea Meurer, Ärztliche Direktorin und Geschäftsführerin der Orthopädischen Universitätsklinik Friedrichsheim gGmbH im Interview mit der Redaktion von ENDOINFO:
ENDOINFO: Wie viele Menschen erhalten in Ihrer Klinik jährlich einen Gelenkersatz?
Prof. Dr. Andrea Meurer: In unserer Klinik werden jährlich ca. 700 Patienten mit einem Gelenkersatz versorgt.
ENDOINFO: Wenn Patienten zum Aufnahmegespräch in Ihre Klinik kommen, wie gut informiert sind diese: über den Gelenkersatz an sich, über Operationstechniken, über die Zeit und die Verhaltensregeln nach der Operation?
Prof. Dr. Andrea Meurer: Die meisten Patienten, die zum Vorgespräch in die Klinik kommen, sind bereits ausgesprochen gut informiert über die möglichen Operationstechniken, insbesondere über die Wahl des operativen Zuganges und die Art der Prothese. Die häufigsten Informationsquellen sind offensichtlich das Internet sowie die allfälligen Publikationen in der Laienpresse.
ENDOINFO: Wann und auf welchem Weg haben Sie vom Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) erfahren?
Prof. Dr. Andrea Meurer: Als Ordinaria für Orthopädie und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie war ich bereits von Beginn an über die Idee bis zur endgültigen Ausführung des Endoprothesenregisters informiert.
ENDOINFO: Die Teilnahme am Endoprothesenregister Deutschland erfolgt klinik- und patientenseitig auf freiwilliger Basis. Welche Gründe haben für Sie dafür gesprochen, sich für die freiwillige Teilnahme Ihrer Klink an den Datenerhebungen und -auswertungen durch das Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) zu entscheiden?
Prof. Dr. Andrea Meurer: Das Endoprothesenregister wird derzeit im Rahmen einer Pilotstudie überprüft. Unsere Bewerbung zur Teilnahme nach erfolgreichem Abschluss der Pilotphase liegt bereits vor. Die Teilnahme an dieser Initiative stand für mich von vorneherein fest, da nur auf diesem Wege Informationen zur Qualität der Versorgung unserer Patienten zu erhalten sind. Besonders wichtig scheint mir, Informationen über die Patienten zu erhalten, die auf Grund verschiedener Ursachen nicht in der eigenen Klinik nachgesorgt werden. Nur so können Ergebnisse über die echte Behandlungsqualität erzielt werden.
ENDOINFO: In Deutschland werden private Prüfinstitute mit der Zulassung von Medizinprodukten beauftragt. Staatliche Zulassungen sind nicht vorgeschrieben. Welche Änderungen an den bisherigen Zulassungsverfahren sind aus Ihrer Sicht unverzichtbar, damit der Weg von der Konstruktion einer Endoprothese über die Herstellung bis zum Operationstisch sicher wird für die Patienten?
Prof. Dr. Andrea Meurer: Meines Erachtens sollte insbesondere darüber nachgedacht werden, dass bei Konstruktion neuer Implantate eine Prüfung zunächst auf wenige Zentren begrenzt sein sollte. Erst nach Vorlegen von validierten Daten sollte die Ausrollung in die Breite erwogen werden.
ENDOINFO: „Patient Empowerment“ ist auf dem Weg, vom Modewort zu einer Haltung, auch zu einer Erwartungshaltung zu werden. Welche Vorteile sehen Sie für Kliniken, wenn Patienten durch relevante, nachvollziehbare Informationen zu Gesprächspartnern werden, mit denen sich Ärzte auch inhaltlich austauschen können?
Prof. Dr. Andrea Meurer: Die Aufklärung von Patienten halte ich für unabdingbar. Gerade im Bereich elektiver Operationen muss der Patient die Möglichkeit haben, durch sach-, und fachgerechte Informationen zu einer Mitentscheidung zu kommen. Dies insbesondere, da es sich oftmals um Operationen handelt, die bezüglich Ihres Zeitpunktes durchaus variabel sind. Ein aufgeklärter Patient kann in gemeinsamer Abwägung der Vor – und Nachteile dann zu einem für ihn richtigen Ergebnis gelangen.
ENDOINFO: Patientensicherheit ist gleichzeitig Kliniksicherheit. Denn angesichts stark zunehmender Transparenz werden nur jene Kliniken auf dem Markt bestehen, die ein langfristig gutes Gelingen ihrer Operationen (Standzeiten) nachweisen. „Auf Wiedersehen in vielleicht 30 oder 35 Jahren“ könnte eine vertrauensbildende Verabschiedung nach der endoprothetischen Versorgung sein. Was würden Sie einem Patienten heute im Erstgespräch sagen?
Prof. Dr. Andrea Meurer: Jeder Arzt ist an einem guten Behandlungsergebnis für seinen Patienten interessiert. Selbstverständlich folgt die Auswahl des Operationsverfahrens auch im Hinblick auf lange Standzeiten der verwendeten Implantate. Hierzu liegen aus den bereits vorhandenen Registern bereits gute Daten vor. Eine 100 % Garantie für den Behandlungserfolg kann in der Medizin jedoch nicht gegeben werden, da bei größtem Bemühen dennoch die Möglichkeit des Auftretens vom Komplikationen besteht. Letztlich ist auch der Patient für das Behandlungsergebnis verantwortlich, da er durch eigene Verhaltensweisen und präventive Maßnahmen zum Gelingen des gesamt Ergebnisses beitragen kann und muss.
ENDOINFO: Wenn Qualität an einer Stelle (initiiert vom Endoprothesenregister Deutschland, medial aufbereitet hier über ENDOINFO.de) in positivem Sinne öffentlich wird, so hat dies Auswirkungen auf alle Beteiligten im und vor dem Gesundheitssystem: vom Medizinproduktehersteller über Kliniken bis zu Reha-Einrichtungen und Krankenkassen. Welche Fachbereiche außer Orthopädie / Endoprothetik sollten aus Ihrer Sicht ebenfalls vom Patienten verstehbar und bewertbar werden?
Prof. Dr. Andrea Meurer: Behandlungsqualität umschließt sämtliche Bereiche der medizinischen Therapie in allen Fachbereichen. Die Ausweitung diesbezüglicher Informationen für den Patienten sollte sich vom Häufigen zum Selteneren hin bewegen, das heißt, dass zunächst mit Informationen zu den Topdiagnosen des Deutschen Gesundheitssystems, wie Alterserkrankung, Herz –, Kreislauferkrankungen etc. verfügbar gemacht werden sollten. In der Orthopädie kommt neben der Endoprothetik insbesondere auch den Behandlungsergebnissen von Wirbelsäulenerkrankungen ein hoher Stellenwert.
ENDOINFO: Wenn Patienten sich unsicher sind, ob sie in die Registerteilnahme einwilligen sollen, mit welchen Gründen werben Sie für die Bereitstellung der anonymisierten Daten?
Prof. Dr. Andrea Meurer: Das Hauptargument für die Teilnahme an der Registerstudie ist einerseits die Anonymisierung, die für den Patienten unproblematisch ist. Andererseits können nur so valide Daten über die Qualität der Versorgung erreicht werden, so dass der einzelne Patient zu einer Steigerung der Behandlungsqualität aller Menschen in der Zukunft beitragen kann.
ENDOINFO: Abschließend eine Frage zum Gesundheitswesen, die heute noch hypothetisch wirken mag: Patientensicherheit ist Sache der Patienten. Diese Erkenntnis ergibt sich, weil Medizinprodukte in Deutschland ohne staatliche Zulassung in Menschen eingesetzt werden dürfen. Wie könnte aus Ihrer Sicht langfristig eine patientenseitig geleistete Kontrolle der Medizinprodukteindustrie aussehen? Über industrieunabhängige Stiftungen? Über unabhängige, von Medizinern begleitete Gremien, die ohne Lobbygruppen- und Politikeinflüsse ihr Veto einlegen können, wenn Zulassungsverfahren nicht sicher genug sind?
Prof. Dr. Andrea Meurer: Ich bin nicht der Ansicht, dass Patientensicherheit ausschließlich Sache der Patienten ist. Meines Erachtens bemühen sich sowohl Industrieunternehmen als auch mitentwickelnde Ärzte um eine hohe Sicherheit der angewendeten Verfahren. Dennoch bin ich der Ansicht, dass neu eingeführte Produkte in der Anwendung zunächst auf einen kleinen und sorgfältig ausgewählten Kreis von Anwendern beschränkt sein sollte. Erst nach Gewinnen langfristiger Daten zu Vor-, und Nachteilen der neuen Verfahren sollte dann das Ausrollen auf eine breite Masse von Anwendern erwogen werden. Ferner könnte die Gründung einer Kommission, ähnlich der ja bereits bestehenden Arzneimittelkommission, erwogen werden, in der diese Verfahren analysiert und bewertet werden.
Vielen Dank für dieses Interview.
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